Autoren: Ralph Hübner und Stefan Hövel, D2C-Advisors.de
Kürzlich gehört: "Wenn jetzt alle D2C-Marken zwanghaft in den Handel gehen, dann ist der D2C-Trend sowieso vorbei". Guter Punkt. Aber nur auf den ersten Blick, denn das D2C-Modell ist mittlerweile integraler Bestandteil im Marketing und Vertrieb alter und neuer Markenhersteller.
Aber erinnern wir uns erstmal zurück: Irgendwann nach 2000 entstanden neben den etablierten Direktvertriebssystemen wie Vorwerk und Tupperware bereits die ersten "digitalen" D2C-Marken in Deutschland: Canyon, myMuesli, bett1, i-clip und einige mehr. Leider hatten wir in Deutschland keine günstigen Voraussetzungen dafür, dass sich diese frühen Konzepte schnell vervielfachen konnten. Ganz anders in den USA, wo ab 2010 vor allem die VCs sehr schnell hellhörig wurden und reihenweise innovative Konzepte finanzierten.
So richtig in Schwung kam das D2C-Business hierzulande erst ab 2015, wie eine Analyse der Domaineintragungen zeigt:

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In der Retrospektive lassen sich heute mehrere Kerntreiber abgrenzen, die für den Erfolg der D2C-Brands in den jeweiligen Phasen seit 2010 mit Sicherheit maßgeblich waren:
- Handelsstufen wurden eliminiert, Marktregeln gebrochen
- Software und andere Services wurden "as-a-service" verfügbar
- Social-Media-Marketing war günstig und Targeting funktionierte endlich
- Fokussierung erzeugte immer neue Nischen, Produkte wurden zu Marken
- Authentizität, Nachhaltigkeit, Sinn, Transparenz wurden zu Markenwerten
Neben diesen Phasen ist spätestens seit 2020 zudem erkennbar:
- Erfolgreiche Blueprints sorgen für schnelle Multiplikation
- Neue Marken verbreiteten sich schnell durch selbstverstärkende Mechanismen
- Professionalisierung durch Unit-Economics und immer neue Analytik-Tools
- Shopsysteme werden zu Blueprint-Komplettanbietern auch im Marketing
Ohne Zweifel sorgte die Pandemie zuerst für einen einmaligen D2C-Rausch, gefolgt von einer nicht minder starken Katerstimmung. 2022/23 zeichnet sich nun eine signifikante Wettbewerbsverschärfung ab, die Kosten im digitalen Marketing steigen deutlich und es gibt weiterhin diverse Lieferkettenprobleme.
Auch die Reaktion der etablierten Marken lässt nicht auf sich warten und der Handel tauscht profillose Eigenmarken gegen trendigere D2C-Konzepte aus. Kurzum: im Jahr 2023 kommen viele D2C-Marken an eine absolut richtungsweisende Kreuzung ihrer Geschäfts(modell)entwicklung!
Wir stehen an einem Endpunkt der D2C-Bewegung
Das Verständnis, warum viele D2C-Marken so erfolgreich waren, ist heute vielerorts vorhanden, die Durchdringung einiger Consumer-Branchen ist weit fortgeschritten, die Professionalisierung von Technologie und Marketing ist in vollem Gange, die Fokussierung und Differenzierung zu den traditionellen Marken passt weiterhin zum Zeitgeist der kaufenden Zielgruppen. E-Commerce ist mittelfristig tendenziell der einzige Wachstumskanal und dass sich Mittelstand und Konzerne nach ersten Anlaufschwierigkeiten nochmal sammeln und neu für ihr D2C-Modell aufstellen müssen, war durchaus absehbar.
Trotz dieser sehr positiven, professionellen Entwicklung stehen wir an einem Wendepunkt oder sogar an einem Endpunkt der D2C-Bewegung aus Sicht der Marken: Es geht dabei um den scharfen Richtungswechsel vieler D2C Marken in Richtung Handel. Und hiermit meinen wir nicht das Marktplatz-Business, sondern tatsächlich den Einzelhandel bzw. die Handelsketten.
Jetzt wird es spannend, denn per (harter) Definition sind Marken, die über den Handel vertreiben, ja eigentlich keine D2C-Brands mehr. Aus dieser Perspektive könnte man also tatsächlich sagen: nette Episode, das war’s, ab jetzt zählt wieder die alte Terminologie: Es gibt Marken, es gibt Händler, natürlich auch Marktplätze und ein bisschen D2C (für alle). Und wenn man es nicht ganz so genau nimmt, ist sowieso alles Multichannel-E-Commerce, oder?
Influencer machen es vor
Wer aber so simplifiziert denkt, übersieht einen wesentlichen Faktor: D2C ist auch bei Integration des Handels weiterhin ein Mindset-Game und ein "Geschäftsmodell mit Vorsprung", wenn man es stringent aus Sicht des Konsumenten denkt. Man muss es nur richtig orchestrieren, das machen uns zuletzt einige Celebrities und Influencer/Creators vor, die für ihre Fans, Follower und Communities immer neue Food-, Fashion- oder Kosmetikprodukte droppen und ganz nebenbei auch noch ihre Marge ungeniert über Instagram und Tiktok vorrechnen.
Aus unserer Sicht werden die Gewinner der nächsten Phase nicht automatisch die D2C-Marken sein, die sich nun Hals-über-Kopf im Handel listen lassen. Es werden vor allem die Marken sein, die neben ihrer Kostenstruktur vor allem die wichtigen "drei Rs" im Griff haben.
- Hohe und günstige Reichweite
Hohe Relevanz und ein optimaler Product-Market-Fit
- Hohe Resonanz und darüber günstige organische Verbreitung
Und mit Sicherheit zählt ab sofort ein zusätzliches "R", nämlich die richtige Strategie bzw. Konzeption für den Retail (inkl. Marktplätze) nun auch dazu. Denn ohne Strategie und Konzept wird der Handel neue Marken vor allem dazu nutzen, um sich zu profilieren und um etablierte Markenhersteller im nächsten Jahresgespräch unter Druck zu setzen.

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Spannend und nur am Rande erwähnt: Die Strategie, warum man den Handel als Vertriebsweg integriert, kann für jede D2C-Marke anders sein: Wo eine Marke eher kommunikative Awareness sucht, will eine andere Marke eher vertrieblich Absatz erzeugen. Wo eine Marke einen saisonalen Impuls über Zweitplatzierungen setzen will, sucht eine andere Marke eher Dauerpräsenz im Regal.
Erkennbar ist auch, dass es einige (ehemalige) D2C-Brands bereits dauerhaft den Sprung in die Regale geschafft haben und vielleicht damit auch einen Paradigmenwechsel vollzogen haben. Daran ist nichts verkehrt, denn D2C kann auch eine Markteintrittsstrategie sein.
Der Gewinner ist unterm Strich erstmal der Konsument, denn er wird (kurzfristig) nicht nur eine deutlich höhere Auswahl an Marken haben, sondern auch noch wählen können, ob er diese auf Marktplätzen, im Shop der Marke im Abo, im Social Commerce als attraktives Bundle oder im Regal beim Drogeriemarkt kaufen wird.
Die D2C-Evolution ist somit ganz sicher nicht am Ende, vor allem nicht für die Marken, die integriert denken und handeln. Und ihre "drei R’s" im Griff haben.
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Dieser Artikel ist der Auftakt einer monatlich erscheinenden Kolumnen der D2C-Experten Ralph Hübner und Stefan Hövel auf wuv.de. Die Serie trägt den Titel "Rethink D2C", weil derzeit viele neue Optionen die bisherigen Vorstellungen von Direct-to-consumer sprengen und Marketer ihre Strategien überdenken müssen.
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