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3D-Druck Co-Produktion – das nächste Level für Direct-to-Customer Modelle?

3D-Druck entwickelt sich von einer Technologie für Nerds zur Massenanwendung. Das eröffnet Marken ganz neue Möglichkeiten, mit ihren Kunden in Kontakt zu treten. Und D2C-Brands kommen ihren Zielgruppen noch näher.

Autor: Manuel Siskowski, Gründer Wiesemann 1893

Das Jahrzehnt der 20er Jahre hat bisher vor allem Unsicherheit mit sich gebracht. Gerade unser geliebtes Modell der voll globalisierten Just-in-Time Fertigung steht vor einer fraglichen Zukunft. Wir haben lernen müssen, wie schnell Produktionen durch einen Virus stillstehen und Lieferketten aus dem Gleichgewicht kommen. Neu aufkommende politische Spannungen lassen uns gewohnte Produktionsländer und Abhängigkeiten gänzlich hinterfragen. 

Zeitgleich haben sich zwei Trends quasi unaufhaltbar fortentwickelt. Zum einen versuchen im Rahmen ihrer Direct-to-Customer Modelle alle Marken und Hersteller einen direkt Kundenzugang zu bekommen. In digitalen Geschäftsmodellen ist dieser Zugang maßgeblich, um ein langfristig profitables Business zu betreiben. Zum anderen hat sich auf der Nutzerseite der 3D-Druck kontinuierlich verbreitet. Nach anfänglichem Hype und darauf folgender Abschwächung ist die Technologie und Infrastruktur nun an einem Punkt, an dem sich fortgeschrittene Geschäftsmodelle bauen lassen. 

3D-Druck macht die Marke zum Designer und den Kunden zum Produzenten

Co-Produktion leitet sich als Begriff aus dem Englischen "Consumer Production" ab. Hierbei sind Kundinnen und Kunden selbst an dem Fertigungsprozess des Produktes beteiligt. Man setzt auf die These des "Arbeitenden Kunden". Das kann von der Zubereitung von Fertiggerichten, über die Montage von Möbeln bis hin zur eigentlichen Produktion des Produktes reichen. Durch die Fortschritte und Verbreitung des 3D-Drucks bei Konsumenten ergeben sich hier neue technische Möglichkeiten, weil nun kleine dezentrale Produktionseinheiten beim Kunden stehen. Die Besonderheit ist nun, dass der Kunde zum Produzenten wird und die Marke primär die Konzeption, das Design und die Distribution der Inhalte übernimmt. Für viele Marken ist die Produktion heute bereits an externe Partner ausgelagert und zum Teil zum Commodity geworden. Die Co-Produktion verschiebt also diesen Teil der Wertschöpfung gänzlich zum Kunden.

Direkter Kundenkontakt trotz mehrstufigem Vertrieb

Das mag den technisch begeisterten Leser vielleicht abholen. Aber was gibt es bei dem Thema für den Marketer zu holen? Eine ganze Menge. Bis heute tun sich viele Unternehmen mit D2C-Modellen schwer. Zum einen fehlt oft das interne Know-How, um von heute auf morgen ein Endkundenplayer zu werden. Zum anderen ist es immer auch eine politisch hoch sensible Entscheidung, weil man in vielen Fällen in direkter Konkurrenz plötzlich zu seinem bisherigen Kunden – den Händlern – steht. Wenn man jetzt im Rahmen von Co-Produktion und 3D-Druck anfängt, Zubehörprodukte oder abweichende Produkte vom Kernsortiment dem Endnutzer anzubieten, ergeben sich extrem spannende Möglichkeiten.

Im Rahmen der Co-Produktion mittels 3D-Druck stehen immer digitale Dateien im Vordergrund. Da die physischen Komponenten rund um Material und Drucker vom Kunden gestellt werden, wird die Marke zum Lieferanten für den digitalen Inhalt. Im Rahmen der D2C-Transaktion heißt das also, dass der Kunde irgendwo die Datei herunterladen muss oder geschickt bekommen muss. Hier haben wir jetzt statt einem anonymen mehrstufigen Vertrieb die Möglichkeit, dass der Kunde endlich direkt mit der Marke interagiert. Selbst wenn ich mein Kernsortiment weiterhin traditionell mehrstufig vertreibe, kann ich auf diese Weise den Kunden in direkten Kontakt mit der Marke bringen. Durch den transaktionalen Charakter lassen sich so natürlich auch die Kundendaten gewinnen. Wenn dann auch noch die digitalen Produkte zu den physischen in einer eins-zu-eins Beziehung stehen, lassen sich sogar Kundenprofile im Bezug auf die physischen Produkte erstellen. 

WIESEMANN 1893 liefert zu jedem Werkzeug den passende Halter zum Ausdrucken

Das Ganze klingt jetzt erst einmal sehr theoretisch, schauen wir uns das ganze also mal mit Beispielen an. Mit meiner eigenen D2C-Werkzeugmarke WIESEMANN 1893 arbeiten wir seit 2020 an diesem Konzept. Der Kunde bekommt für jedes Werkzeug mindestens einen passenden 3D-druckbaren Halter für die Werkzeugaufbewahrung. Für den Kunden löst das das Problem der sonst chaotischen Schubladen. Der Kunde kauft beispielsweise den physischen Schraubendreher im Online-Store, legt die passende Aufbewahrungslösung noch in den Warenkorb und durchläuft den Check-Out. Während sich das Paket auf den Weg macht, beginnt der Kunde bereits mit dem Druck des Zubehörteils. 

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3D-Druck hilft den Kunden von WIESEMANN 1893 beim Ordnung-Halten

WIESEMANN 1893

Bei Omnibussen von Mercedes Benz haben Kunden bereits heute die Möglichkeit, mittels eines eigenen zertifizierten 3D-Druckers originale Ersatzteile zu drucken. Die Betreiber der Busse können so deutlich schneller auf Ersatzteile zugreifen. Im Gegensatz zu dem Use Case von WIESEMANN 1893 geht es hier um eine B2B Kundenbeziehung, der Ansatz der dezentralen Produktion ist jedoch bei beiden gleich. 

Co-Produktion ermöglicht D2C-Unternehmen einen noch direkteren Kontakt zum Kunden

Das Modell Direct-to-Customer beschreibt das Wegfallen von Vertriebsstufen und die direkte Transaktion der Marke mit dem Käufer des Produkts. Die Value Chain wird hier bereits verkürzt, in dem man die Intermediäre der Handelsstufen ausspart. Die Co-Produktion geht hier einen Schritt weiter. Die Transaktionsstruktur ist die gleiche wie beim D2C Modell. Die Value Chain wird allerdings noch einmal radikal verkürzt, weil die Produktion des Produktes nicht mehr von der Marke, sondern vom Kunden vorgenommen wird. 

Neben den Handelsstufen kann hier auch noch die Lieferung durch Drittanbieter umgangen werden und die Marke rückt noch näher an den Kunden. Auch aus Markengesichtspunkten wird die Verbindung intensiver. Der Kunde ist viel tiefer in die Wertschöpfung eingebunden und verbringt mehr Zeit mit dem Vorgang. Bei einem guten Produkt erhöht das die Markenbindung, bei einem schlechten Produkt erhöht sich aber auch das Frust-Potenzial. 

Ein kritischer Wettbewerbsvorteil 

Neue Produktionstechnologien werden es uns möglich machen, den Nutzer noch enger an eine Marke zu binden. Im Rahmen von eigenen Shops und D2C-Kanälen können wir eigene Kundendaten gewinnen und dem Kunden echte Mehrwerte bieten. Die Co-Produktion steht noch ganz am Anfang und für viele Produkte wird sie nicht möglich sein. Dennoch beginnen heute bereits die First Mover in dem Segment, Kundenbeziehungen, Reichweite und Know-How aufzubauen. Co-Produktion wird nicht alle Probleme lösen, für einige Player aber ein kritischer Wettbewerbsvorteil werden. 

Für alle die sich dieses noch recht neue Thema genauer anschauen wollen, haben wir vor kurzem mit dem Aachen Center for Additive Manufacturing ein Whitepaper herausgebracht. Das Whitepaper findest du unter https://www.enable-3d.com/pages/whitepaper. Ebenfalls ganz neu erschienen ist das Buch "Disruptiver 3D-Druck" im Hanser Verlag.

Über den Autor

Manuel Siskowski ist ein in Frankfurt ansässiger Unternehmer und E-Commerce-Experte. Im Jahr 2017 gründete er WIESEMANN 1893 als Direct-to-Customer-Werkzeugmarke, was zu seinem neuen Unternehmen Enable 3D führte. Enable 3D entwickelt und vermarktet Anwendungsfälle für die additive Fertigung in Zusammenarbeit mit führenden Marken und Designern.

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Manuel Siskowski

Wiesemann 1893

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