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Opexxia

Interview Dörte Kaschdailis, Opexxia D2C für Corporates: “Mach es zu keinem Mammut-Projekt!”

Ist es richtig, wenn große Hersteller ihren D2C-Projekten den Stecker ziehen oder nur noch auf Sparflamme laufen lassen? Und was können sie tun, um die Rentabilität dieser D2C-Projekte zu steigern? Wir sprachen darüber mit Dörte Kaschdailis, Co-Founder und Managing Partner der Unternehmensberatung Opexxia.

In der Corona-Zeit starteten viele Hersteller mit viel Verve eigene D2C-Initiativen – jetzt rudern viele wieder zurück. Ist das aus deiner Sicht die richtige Entscheidung?

Dörte Kaschdailis: Ich finde es falsch, Momentaufnahmen als Basis für strategische Entscheidungen für oder gegen einen digitalen Kanal zu nutzen. Nach der Corona-Krise ist der Kunde wieder mehr in der Stimmung, in stationären Läden zu kaufen. Aber der Langfristtrend spricht eindeutig für Online. Die Menschen, die heute 18 oder 19 sind – wie kaufen die denn in zehn Jahren ein? Die ewig Gestrigen fühlen sich mit ihrer Vorliebe für den stationären Handel gerade wieder bestätigt. Aber ich glaube, die Läden können in Zukunft von Montag bis Freitag zusperren und müssen künftig nur noch am Samstag öffnen. Geh doch mal an einem Dienstag in diese riesigen stationären Läden! Da ist alles leer. Das kann sich betriebswirtschaftlich gar nicht rechnen.

Neben den rückläufigen Online-Umsätzen macht es den Herstellern zu schaffen, dass D2C doch teurer und weniger rentabel ist als gedacht. Ist die Misere hausgemacht?

Dörte: Wir können im Jahr 2023 auf eine so reife Technologielandschaft zurückgreifen, dass man nicht gleich die riesen Projektkeule ziehen muss, um mit D2C zu starten. Wo man vor 20 Jahren mit Intershop in Jena und einem fünfzigköpfigen Team mächtige Projekte starten musste, um online zu verkaufen, lassen sich die Prozesse heute mithilfe moderner Technologien wie Shopify Plus, Xentral oder Weclapp schlank und automatisiert bis zur Logistik abbilden. Trotzdem muss man innerhalb des Unternehmens eine dedizierte Organisation schaffen. Und genau das passiert oftmals nicht. Da machen D2C dann zwei Werkstudenten von Marketing oder Sales irgendwie nebenbei mit, aber es gibt keine Menschen, die nur dafür verantwortlich sind, dass aus anfänglich drei Bestellungen am Tag 300 werden. Und auch wenn die Zahlen sich nicht so entwickeln wie anfangs erhofft, kann man seine D2C-Sparte immer noch als wertvollen Marketing- oder Branding-Kanal betrachten, in dem man direkt von den eigenen Kunden lernen kann. Wenn Unternehmen im Wholesale Milliardenumsätze erzielen und im D2C nur ein paar Millionen, ist es meiner Meinung nach trotzdem falsch, den Kanal zu ignorieren. Schließlich schleudern viele ja auch für Retail Marketing, ohne mit der Wimper zu zucken, Millionenbeträge raus. 

Du hast gerade schon erwähnt, dass es innerhalb der Unternehmen eigene D2C-Teams geben muss. Muss auch die Organisation als Ganzes neu aufgestellt werden?

Dörte: Es gibt diesen Aberglauben am Markt, dass D2C = Technologie ist. Aber Systeme sind nur eine Seite der Medaille. Ich kann einen Online-Shop mit ERP und der Abwicklung dahinter hinstellen. Aber das wird nichts bringen. Ich werde in Projekten immer noch gefragt, welche Shopsoftware denn die richtige ist. Aber diese Frage ist nicht die entscheidende. Vielmehr müssen sich die Unternehmen darüber Gedanken machen, wie der Einstieg ins D2C-Geschäft Arbeitsabläufe, Prozesse und Organisation verändert. Wenn ich transformiere – wo hänge ich das auf und warum? Und was bedeutet es für Marketing, Sales, Einkauf, Buchhaltung, IT und Logistik, wenn sie jetzt auch E-Commerce mitdenken müssen? Wie verändern sich dadurch Rollenbilder? Wie verändern sich Arbeitsabläufe und Prozesse? Wo müssen neue Schnittstellen geschaffen werden, um Arbeitsabläufe und Prozesse zu automatisieren? Ganz häufig verstehen die Unternehmen gar nicht, welchen Einfluss menschliches Tun auf einen Prozess hat. Und wenn die IT-Landschaft dann ein bisschen in die Jahre gekommen ist und beispielsweise das ERP-System erneuert werden muss, stellt sich heraus, dass sie gar nicht mehr genau wissen, wer eigentlich was in welchem System tut und warum. Das gewachsene Chaos lässt sich in einem Ist-Zustand beherrschen, aber bei Veränderungsdruck aus dem Markt nicht mehr skalieren oder anpassen. Deswegen plädiere ich dafür, Digitalisierung nicht nur als Technologie, sondern auch als Mensch-Thema zu denken.

Was ist aus deiner Perspektive der größte Fehler, den Hersteller begehen, wenn sie D2C machen wollen?

Dörte: Ich glaube, einer der größten Fehler ist das Thema interne Politik. Manchmal entstehen innerhalb der Organisation Begehrlichkeiten, das neue Fancy-Thema zu besetzen und sich das Innovationshütchen aufzusetzen. Und dann spielt man politische Spielchen, statt ins Tun zu kommen. Außerdem werden in vielen Corporates D2C-Projekte viel zu groß aufgesetzt, was vor allem dazu führt, dass Agenturen sich eine goldene Nase verdienen. Kein Start-up der Welt würde so eine riesige Keule schwingen. Hersteller, die schon vor fünf bis zehn Jahren in den Online-Handel eingestiegen sind, haben das Problem, dass sie auf veralteter Technologie sitzen, die sie jetzt erneuern müssen. Und dafür geben sie sich in der Regel zu wenig Zeit, um darüber nachzudenken, was sie alles automatisieren können oder wo sich Arbeitsabläufe und Prozesse optimieren lassen. Und alle vernachlässigen das Thema Artikelstammdaten. Jeder will Influencer Marketing machen, aber keiner will seine Artikelstammdaten aufräumen. Und in der Technologielandschaft hat es auch noch keiner geschafft, eine Lösung zu entwickeln, die diesen unsexy Job übernimmt oder ein bisschen erleichtert. 

Wo siehst du die größten Kostenfresser im D2C-Geschäft?

Dörte: Aus meiner Sicht wird bei den technischen Schnittstellen noch nicht durchgängig automatisiert gedacht. Viele lassen sich gedanklich zu sehr von ihren Systemen limitieren. Wie oft ich Sätze höre wie: “Das kann Navision nicht.” Dabei kann Navision erstmal alles, was wir können wollen. In der Architektur wird auch zu wenig  vernetzt gedacht. Beim Bau einer solchen Architektur muss man sich ja immer überlegen, welcher Baustein (Shop, ERP, WMS, CRM, PIM, Cloud) welche Datenhoheit hat. Viele Unternehmen investieren zu wenig Hirnschmalz in die Frage, welches System für welche Daten führend sein sollte. Ein weiterer Kostentreiber ist der Versuch, stagnierende oder rückläufige Umsätze mit mehr Sortiment zu kompensieren. Doch jedes Produkt mehr, erhöht den Sockel an Komplexität. Wer dann sein operatives Geschäft nur mittelmäßig im Griff hat, wächst vielleicht beim Umsatz, aber nicht mehr beim Ergebnis. Und als ordentliche Kaufleute muss man sich dann schon die Frage stellen, wie relevant negativer Umsatz ist. Mir helfen ja auch 50 Prozent Marktanteil nichts, wenn ich einfach nur dauerhaft Geld verliere. 

Was sind deine “Famous Last Words” zum Thema D2C?

Dörte: Einfach machen! Selbst wenn die Umsätze in großen Unternehmen auf vermeintlich kleiner Basis starten oder bleiben, ist D2C immer noch der perfekte Marketingkanal, um die Erfahrung mit der Marke zu stärken. Und keiner weiß, was in zehn Jahren sein wird. Ich glaube aber, der Langfrist-Trend gibt den Digital-Befürwortern recht.